Vom 11. bis zum 14. Jahrhundert...

...gab es auf dem westlichen Balkan die mittelalterlichen Fürstentümer "Duklja" und "Raška". Diese beiden historischen Regionen lagen an der Grenze zwischen dem griechischen Osten und dem lateinischen Westen in einer Berührungszone zwischen der Katholischen und der Orthodoxe Kirche.

Historiker Mihailo Popović

...spricht mit dem Priester namens Siniša im montenegrinischen Dorf Zaton. Der Priester berichtet darüber, wie er die Kirche von Grund auf neu erbaut hat. Er fand den Grundriss vor, als er im Dorf Priester wurde. Stein um Stein errichtete er die Kirche neu, die heute Zentrum des orthodoxen Glaubenslebens in der Region ist.

Popović untersucht Kirchen und Klöster aus dem Mittelalter und ordnet diese religiös, zeitlich und räumlich ein, um so einen Überblick über die Glaubenslandschaft zu erhalten. Er stellt bei seiner Forschung die Frage, ob eine Kirche orthodox oder katholisch geweiht war, um mehr über den vermeintlichen Konflikt zwischen dem griechischen Osten und dem lateinischen Westen im Mittelalter heraus zu finden. Denn schließlich waren diese für das Leben der lokalen Bevölkerung bestimmend.

Die Kirche Sveti Jovan Krstitelj in Zaton, im heutigen Montenegro, stammt ursprünglich aus dem frühen Mittelalter, wurde orthodox geweiht und deutet somit auf den Einfluss der östlichen Großmacht des Byzantinischen Reiches in dieser Region hin.

Um die Glaubenslandschaft des Mittelalters zu verstehen, musste Popović umfangreiche Bereisungen im Gelände durchführen. Kirchen und Klöster aus verschiedenen Epochen, vom 6. bis zum 15. Jahrhundert, besichtigte, fotografierte, beschrieb er und sprach mit den Priestern, um die Einbettung der Kirchen und Klöster in die Landschaft von damals zu erforschen.

Glaubenslandschaft
Die europäische Landschaftskonvention definiert Landschaft als ein vom Menschen wahrgenommenes Gebiet, das aus dem Zusammenwirken von natürlichen und/oder menschlichen Faktoren besteht. Eine Landschaft existiert also nicht nur aus den stofflichen, natürlichen und anthropogenen Dingen, sondern wird erst durch die Wahrnehmung und Interaktion der Menschen zu einer Landschaft. Demnach ist eine Glaubenslandschaft ein Teil der Landschaft, der durch Sakralbauten und heilige Orte sowie durch religiöse Wahrnehmung und Interaktionen gebildet wird.

"Der Raum ist eine Bühne der Zeit"

Für Historiker Mihailo Popović verbindet der Raum die Entwicklung der Welt von der Topographie der natürlichen Gegebenheiten, über politische und religiöse Veränderungen und Strukturen bis hin zu Schicksalen einzelner Personen. Daher ist die geographische Verortung der Kirchen, Klöster und heiligen Artefakte ein wichtiges Indiz für die räumliche Struktur der kirchlichen Einflusssphäre.

Die Fürstentümer Duklja und Raška lagen in der ehemaligen Grenzregion des West- und des Oströmischen Reiches. Nach dem Zerfall des Weströmerreichs existierte aber weiterhin ein kirchlicher Einfluss aus dem Westen durch Rom und aus dem Osten durch Konstantinopel (heute Istanbul). Im Hinterland waren Raška und die nordöstlichen Regionen von Duklja folglich orthodox dominiert, während die Küste unter katholischem Einfluss stand. Auch wenn die Grenzen zwischen den beiden Fürstentümern nicht klar definiert waren, trennte das Dinarische Gebirge die beiden religiösen Zonen.

Das Dinarische Gebirge

Das Hinterland und die Küste beinahe des gesamten Balkans werden durch das Dinarische Gebirge getrennt. Im Mittelalter stellten die Berge eine natürliche Barriere dar, denn es gab nur wenige Verbindungswege zum Mittelmeer und umgekehrt. Möglicherweise haben die topographischen Gegebenheiten zur religiösen Machtgrenze zwischen dem orthodoxen Einfluss im Hinterland und dem katholischen Einfluss an der Küste beigetragen.

Kloster Morača

Das Kloster Morača liegt genau an der Schlüsselposition zwischen dem Hinterland und der Küstenregion in Montenegro. Popović geht nach seinen neuesten Forschungsergebnissen davon aus, dass dieses Kloster, obwohl es immer orthodox orientiert war, eine essenzielle Rolle für den Austausch der Orthodoxie mit dem Katholizismus in dieser Region war.

Das Kloster Morača wurde Mitte des 13. Jahrhunderts von Stefan, dem Enkel des ersten serbischen Nemanjidenherrschers Stefan Nemanja, begründet. Das Eingangsportal der Klosterkirche weist starke romanische Einflüsse auf. Ihre Freskenmalerei wurde im Laufe der Geschichte zerstört. Die Lage des Klosters legt nahe, dass es ein Bindeglied zwischen der Küste und dem Hinterland in der damaligen historischen Region Duklja (später Zeta genannt) war. In einer Kapelle des Heiligen Nikolaus (Sveti Nikola) neben der Klosterkirche sind hingegen wunderschöne Malereien erhalten, die das Leben des Heiligen in detaillierten Szenen darstellen. Obwohl sie auf das 17. Jahrhundert zurückgehen, sind sie in Farbe und Stil an Vorbildern des 14. Jahrhunderts orientiert.

Alle Kirchen und Klöster in der Region haben eine religiöse Zuordnung, eine örtliche Position und bestimmte Merkmale in der Architektur, die Popović mit Hilfe der Kunsthistorikerin Branka Vranešević und den Geographen Markus Breier und Lukas Neugebauer bestimmen und dokumentieren will.
Durch die Kombination der Forschungsergebnisse aller drei Disziplinen (Geschichte, Kunstgeschichte und Geographie) soll ein Gesamtbild der kirchlichen Situation der damaligen Zeit erkennbar werden. Es geht also um die Verteilung der Kirchen und Klöster in Raum und Zeit.

Die Stadt Doclea

Die antike römische Stadt Doclea war für die Region des Fürstentums Duklja namensgebend.
Nach der Eroberung der Gebiete im heutigen Montenegro durch das Römische Reich wurde eine neue Struktur von Siedlungen und Verkehrswegen errichtet. Die Römische Stadt Doclea, die unweit nördlich der jetzigen montenegrinischen Hauptstadt Podgorica entdeckt wurde, hat eine Vielzahl von Denkmälern des 1. bis 4. Jahrhunders n. Chr. aufzuweisen. Mit der Invasion der Slawen verfiel die Stadt, gab jedoch der ganzen Region Duklja ihren Namen. Im Frühmittelalter (ca. 9. Jhd.) dürfte die Stadt teilweise wieder besiedelt worden sein. Hievon zeugt Basilika B, die damals erneuert wurde. Aus einer römischen Stadt wurde ein sagenumwobener Ort, der als Ortsname die Jahrhunderte überdauerte.

Basilika A
Basilika B
Antike
Thermen
Römischer
Tempel
Antikes Forum
Stadtmauer

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Die Halbinsel der Blumen

Die "Halbinsel der Blumen" (Miholjska prevlaka) ist ein durch die Geschichte hindurch begehrter Ort. Inmitten der Ferienbungalows liegen die mittelalterlichen Fundamente einer Kirche des Heiligen Erzengels Michael. Die Kirche bestand bereits in frühchristlicher Zeit. Dann wurde dort nach der Gründung der serbischen orthodoxen Kirche (1219) ein Bischofssitz errichtet. Als orthodoxe Kirche im Mittelalter bildet sie an der hauptsächlich katholisch geprägten Küste eine Ausnahme und zeigt die Verflochtenheit beider Kirchenströmungen in Duklja und Raška auf.

In der Neuzeit wurde die Anlage jedoch katholisch. Während der kommunistischen Herrschaft nach 1945 wurde die Halbinsel mit Ferienhäusern hochrangiger Offiziere bebaut, und das Kloster war unbesetzt bzw. verfiel. Nach dem Fall des Kommunismus hielten orthodoxe Mönche wieder Einzug auf der Halbinsel. Sie haben die feste Absicht, die Klosterkirche nach mittelalterlichem Vorbild wieder aufzubauen.

Die Tatsache, dass die Kirche des Heiligen Erzengels Michael noch vor der Spaltung des Christentums (1054) gebaut wurde und später nicht durchgehend orthodox war, macht die Einteilung der Kirchen in die beiden Kategorien "orthodox" oder "katholisch" problematisch. Eine klare Trennung bei den Bauwerken lässt sich nicht immer ziehen, da es auf den Betrachtungszeitraum ankommt.

Die Ruine von Ratac

Ein Beweis für die Durmischung der Orthodoxie und des Katholizismus in Duklja ist die Kirche Ratac. Die Ruine liegt prominent auf einem Küstenvorsprung des Mittelmeeres und wird heute noch von der orthodoxen und katholischen Kirchengemeinschaft genutzt. Bei einem katholischen Altar im Osten der Ruine feiern die Katholiken, und gleich daneben entlang einer Mauer wird der orthodoxe Gottesdienst abgehalten.
Die Kirche zeigt neben der Durchmischung auch das friedliche Zusammenleben beider Kirchenströmungen. Schon damals im Mittelalter sind sich orthodoxe serbische Bauern und katholische venezianische Händler am Wochenmarkt in der Bucht von Kotor begegnet. Es wurde gehandelt, importiert und exportiert, wodurch sich unterschiedliche Lebenswelten regelmäßig begegneten und austauschten. Die serbischen Herrscher erließen Gesetze, die alle Gemeinschaften schützten, jedoch auch den Gehorsam gegenüber dem Herrscherhaus stärkten.

Grundsätzlich war der kirchenpolitische Einfluss aus Rom und Konstantinopel in Duklja und Raška nicht überall präsent und flächendeckend, und gerade dadurch gab es genügend Potenzial dafür, dass sich die Menschen und die lokalen Herrscher ihre eigenen Strukturen aufbauten und nicht unbedingt in den angenommenen religiös getrennten Regionen lebten. Tatsächlich gibt es schriftliche Quellen und mündliche Überlieferungen, die Hinweise auf eine gewisse Durchmischung des religiösen Bekenntnisses geben. So heiratete die französischstämmige Adelige Hélène d’Anjou den serbischen König Stefan Uroš I. im 13. Jahrhundert und stiftete sowohl orthodoxe als auch katholische Klöster. In der Kirchenruine Ratac lebt ihr Erbe weiter.

Sveti Ilija

Die Kirche des Heiligen Elias (Sveti Ilija) befindet sich auf einem malerischen Felsvorsprung im Ort Dobrota in der Bucht von Kotor. Es handelt sich um eine kleine, einräumige Kirche, die eine lange Geschichte aufweist. Möglicherweise stand hier bereits im 10. oder 11. Jahrhundert ein Vorgängerbau. Der jetzige geht sicherlich auf das 15. Jahrhundert (ca. 1430) zurück. Diese Kirche steht in der Tradition der lateinischen Kirche, weil sie sich in unmittelbarer Nähe zur lateinisch (katholisch) geprägten Handelsstadt Kotor befindet.

Prečista Krajinska

Die Klosterkirche der Gottesmutter Krajinska (Prečista Krajinska) gehört zu den bedeutendsten Denkmälern am Südwestufer des Skadar-Sees. Sie wurde vom serbischen Herrscher Jovan Vladimir am Ende des 10./zu Beginn des 11. Jahrhunderts gestiftet. Nach seinem gewaltsamen Tod im Jahre 1016 wurde er in ihr begraben. Ihre architektonische Besonderheit sind ihre drei Konchen (wie bei einem dreiblättrigen Kleeblatt), also drei runde, große Nischen, von der eine den Altarraum beherbergte. Selten sind Beispiele im Süden der Balkanhalbinsel, die ihr gleichen. Ein weiteres ist die oben erwähnte Kirche des Heiligen Johannes des Täufers (Sveti Jovan Krstitelj) in Zaton im Landesinneren im heutigen Montenegro. Ein anderes die Kirche des Heiligen Pantelejmon in der Stadt Ohrid in Nordmazedonien, die ebenfalls aus dem 10./11. Jahrhundert stammt.

Mehrmals wurde diese Klosterkirche Prečista Krajinska erneuert (z. B. im 14. Jahrhundert) und liegt jetzt in Ruinen. Die Ruinen dieser Kirche zeigen deutliche Parallelen zu benachbarten historischen Regionen, wie zum Beispiel Ohrid. Dies trägt zur Komplexität des Begriffs der Heiligen Landschaft im Mittelalter bei. Nicht nur die religiöse Widmung, sondern auch die Bauformen deuten auf mögliche Verbindungen zwischen Küste und Landesinnerem hin und zeichnen eine Karte der grenzübergreifenden Heiligen Landschaften auf der Balkanhalbinsel im Mittelalter.

Die Kirchen in Svač

Die Ruinen der Kirche der Heiligen Jungfrau Maria in Svač liegen nordöstlich der Stadt Ulcinj. Sie war eine Gründung des Mönchsordens der Franziskaner. Es handelte sich also um eine lateinische (katholische) Kirche, die von der oben erwähnten serbischen Königin Jelena (Hélène d'Anjou) Ende des 13. Jahrhunderts gestiftet wurde. Jelena war als Französin ursprünglich katholisch und heiratete den orthodoxen serbischen König Stefan Uroš I. Dieses Beispiel zeigt, dass eheliche Verbindungen der Herrscherfamilien zur Vermischung der beiden Kirchenströmungen im Mittelalter beitrugen und ein friedliches Miteinander von Orthodoxen und Katholiken förderten.

Daher verwundert es nicht, dass in unmittelbarer Nähe um 1300 eine weitere katholische Kirche errichtet wurde, die dem Heiligen Johannes dem Täufer geweiht war. Sie ist heute ebenfalls in Ruinen und wurde möglicherweise von König Stefan Milutin, dem Sohn der Königin Jelena, errichtet.

Die Heilige Landschaft

Das Ergebnis der Forschungstätigkeiten von Popović lässt sich anhand dieser Karte erkennen: Die räumliche Verteilung der Kirchen und Klöster aus dem Mittelalter zeigen eine gewisse Trennung zwischen Raška und Duklja (blaue bzw. rote Zone). Dennoch kam es zu Vermischungen beider Riten in bestimmten Gegenden. Die orthodoxen Widmungen gewisser Kirchengebäude gerade an der Küste resultieren aus den öfteren Vorstößen des Fürstentums Raška in Richtung Mittelmeer, sowie örtlichen Verbindungen zwischen Orthodoxie und Katholizismus. Mit der Vermischung hatte Popović bereits gerechnet, aber neu endeckte er eine gewisse "leere" Zone. Genau zwischen dem Hinterland und der Küstenregion sind weder Informationen in den Quellen noch in der Literatur noch auf der Basis menschlicher Hinterlassenschaften (Denkmälern) aus dem Mittelalter auffindbar. Selbst lateinische Toponyme, Ortsnamen aus der Römerzeit, die sich durch das Mittelalter hindurch bis heute gehalten haben, fehlen in dieser "leeren" Zone vollends. Fraglich ist, warum im Mittelalter keine Menschen in dieser "leeren" Zone gelebt haben, oder gibt es vielleicht nur keine Beweise mehr?

The Project's Background

Beyond East and West: Geocommunicating the Sacred Landscapes of “Duklja” and “Raška” through Space and Time (11th-14th Cent.) is a joint project in cooperation between the Austrian Academy of Sciences, Institute for Medieval Research, the University of Vienna, Department of Geography and Regional Research, and Leipzig University of Applied Sciences, Faculty of Computer Science and Media.
The project builds upon a scholarly symbiosis of the academic fields of Byzantine Studies, Medieval History, Historical Geography, Art History, Geography and Geocommunication (GIScience and cartography). Its aim is to analyze – from a structural and a historical geographical point of view – the two historic regions of “Duklja” and “Raška” as “Sacred Landscapes” and to communicate the results to academia as well as the public.